Flexibilität ist DAS Zauberwort der Stunde. Das engt sich thematisch nicht nur auf den Arbeitsort ein, da auch rigide Arbeitszeiten davon vor den Kopf gestoßen werden. Gerade die Gleitzeit hat sich dabei als beliebtes Modell etabliert und ist mittlerweile aus modernen deutschen Unternehmen gar nicht mehr wegzudenken. Viele wissen wahrscheinlich nicht, dass die Idee an sich schon mehr als ein halbes Jahrhundert alt und auf das "Ottobrunner Modell" der Bölkow GmbH zurückzuführen ist. Von neuartig kann also keine Rede sein.
Im Verlaufe der Zeit ist das Konzept gerade in Deutschland, wo Arbeitsschutzgesetze und eine ausgeprägte Arbeitskultur Hand in Hand gehen, zum Katalysator für die Synthese persönlicher und betrieblicher Anforderungen geworden. Gleitzeit gibt den Beschäftigten mehr Eigenverantwortung, indem sie (nicht ausschließlich, aber mehrheitlich) innerhalb festgelegter Zeiträume selbst darüber entscheiden, wann sie ihre Arbeit verrichten.
In diesem Blogartikel werden wir nunmehr die Bedeutung der Gleitzeit folgendermaßen eruieren: Zunächst untersuchen wir die Arten der Gleitzeit, einschließlich der einfachen Gleitzeitmodelle, Jahresarbeitszeitkonten, qualifizierter Gleitzeit und mehr. Anschließend beleuchten wir die Gleitzeitregelungen und die damit verbundenen Rechte und Pflichten sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmende. Im dritten Abschnitt widmen wir uns den Kernarbeitszeiten, bevor wir in einem weiteren Schritt mittels der Vor- und Nachteile dieser Arbeitszeitmodelle alles abrunden.
Ein Überblick über Gleitzeitmodelle
Gleitzeit ist nicht gleich Gleitzeit. Tatsächlich existieren in Deutschland unterschiedliche Modelle, deren Flexibilitätsgrade mal mehr, mal weniger Spielraum für Arbeitnehmer und Unternehmen repräsentieren. Ihnen gemein ist aber die Bestrebung, Arbeitszeiten sowohl auf individuelle Bedürfnisse als auch betriebliche Erfordernisse zu optimieren (Stichwort Work-Life-Balance). Hier ein Blick auf die relevanten Gleitzeitmodelle und wie sie in der Praxis aussehen können:
Einfaches Gleitzeitmodell
Hierbei handelt es sich um die grundlegendste Form der Gleitzeit, bei der Mitarbeiter täglich innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens flexibel ihrer Tätigkeit nachkommen können. Während der Arbeitsbeginn und das Arbeitsende variabel offengelassen werden, muss nichtsdestotrotz eine konkrete Gesamtarbeitszeit als Soll pro vorab definiertem Intervall erzielt werden.
- Beispiel: Ein Unternehmen gibt die Rahmenarbeitszeit von 9:00 Uhr morgens bis 17:00 Uhr vor. Angestellte haben bei einer Gleitspanne von zwei Stunden die Freiheit zu wählen, ob sie beispielsweise schon um 7:00 Uhr oder erst um 09:00 Uhr den Start hinlegen, solange sie die determinierte Kernarbeitszeit einhalten.
Qualifizierte Gleitzeit
In der qualifizierten Gleitzeit entpuppt sich ein Maximum an Flexibilität als Freund begleitender Steuerungsmechanismen vonseiten der Arbeitgeber. Kontrastierend zur einfachen Gleitzeit ist neben der individuellen Gestaltung von Beginn und Ende des Arbeitstages ebenso die Menge der täglichen Arbeitsstunden nicht in Stein gemeißelt. Tun und lassen, wie einem beliebt, kann man mit seiner Arbeitszeit deswegen aber keineswegs. Die Arbeitnehmenden sind immer noch an die vertraglich vereinbarte Gesamtarbeitszeit pro Woche, Monat oder Jahr gebunden.
- Beispiel: Ein Kundenservice-Team in einem mittelständischen Unternehmen arbeitet nach dem Grundsatz der qualifizierten Gleitzeit mit Funktionszeit. Der Arbeitgeber verfügt, dass die zu betreuende Telefonhotline von 9:00 bis 17:00 Uhr durchgängig besetzt sein muss. Mitarbeiter A arbeitet demnach von 8:00 bis 16:00 Uhr, wohingegen Mitarbeiter B für eine gleitende Arbeitszeit von 10:00 bis 18:00 Uhr optiert. Die Hotline ist ergo im besagten Zeitfenster funktionsfähig.
Jahresarbeitszeitkonto
Dieses Arbeitszeitmodell erlaubt die Verteilung der Arbeitsstunden auf eine im Vorhinein im Arbeitsvertrag festgehaltene Anzahl von jährlich zu erbringenden Stunden. Darum zählt abseits des Jahresendes weniger das Wann als vielmehr das Wie: der Arbeitnehmer sammelt seine Stunden auf dem Arbeitszeitkonto und kann diese je nach Arbeitsanfall beziehungsweise persönlichen Gegebenheiten adaptieren.
- Beispiel: In einem landwirtschaftlichen Betrieb wird während der Erntesaison klassisch mehr Arbeitszeit angehäuft, die in ruhigeren Monaten dann etwa in Form mehrerer freier Tage ausgeglichen werden kann. Nach dem Prinzip Gleitzeitausgleich bezeichnet man das entsprechend als Gleittage.
Vertrauensgleitzeit
Schon dem Namen nach wird Arbeitnehmern im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit ein hohes Maß an Vertrauen entgegengebracht. Der Grundgedanke ist, dass die Mitarbeitenden ihre Aufgaben eigenverantwortlich und fristgerecht erledigen, ohne durch traditionelle Arbeitszeiten an die Kandare genommen zu werden. Im Mittelpunkt stehen gewisse Ziele, die per Vereinbarung zum alles entscheidenden Performance-Indikator erwachsen.
- Beispiel: Eine Vertriebsmitarbeiterin im Außendienst arrangiert ihren Arbeitsalltag anhand der Vertrauensarbeitszeit. Ihre Leistung wird daran bemessen, dass Kundentermine und assoziierte Verkaufsziele zuverlässig umgesetzt werden. Es ist übrigens zu erwähnen, dass nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019, welches ein "objektives, verlässliches und zugängliches System" zur Arbeitszeiterfassung von Arbeitgebern verlangt, das gesamte Konzept unter Beschuss geriet. Verschwunden ist dieses Gleitzeitmodell darob bislang dennoch nicht.
Die Gleitzeitregelung aus der Sicht von Beschäftigten und Arbeitgeber
Die Gleitzeitregelung als solche definiert eindeutig, wie flexible Arbeitszeiten im Unternehmen gehandhabt werden und welche Rechte und Verantwortungen sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer haben. In Deutschland sind die gesetzlichen Eckpfeiler dafür durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) vorgegeben, das gleichzeitig die Rahmenbedingungen für individuelle Betriebsvereinbarungen konstatiert. So ist etwa nach § 3 ArbZG die Vorgabe der maximalen werktäglichen Arbeitszeit von 8 Stunden festgeschrieben. Sehen wir uns im Folgenden die Standpunkte jeweils an.
Rechte und Verantwortungen des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, Gleitzeit im Rahmen einer Betriebsvereinbarung oder in einem individuellen Arbeitsvertrag festzulegen. Im Zuge der Gleitzeitregelung gehen damit einige Key Facts einher:
- Einführung und Aufhebung der Gleitzeitvereinbarung: Der Arbeitgeber kann entscheiden, ob und in welcher Ausprägung Gleitzeit im Unternehmen Anwendung findet. Ein Selbstläufer ist das nicht. Eine Streichung der Gleitzeitregelung ist ebenfalls möglich, wobei hier aber Rücksprache mit dem Betriebsrat gehalten werden muss, welchem ein Mitbestimmungsrecht zufällt.
- Arbeitszeitkontrollen: Arbeitgeber haben in Deutschland die Verpflichtung, die Arbeitszeiten der Mitarbeitenden zu dokumentieren, insbesondere um sicherzustellen, dass gesetzliche Höchstarbeitszeiten (wie zuvor erwähnt) nicht überschritten werden. Diese Verantwortung umfasst auch die Kontrolle der gleitenden Arbeitszeit.
- Kernarbeitszeiten: Die Kernarbeitszeit ist dazu da, die Anwesenheitsperioden so zu gestalten, dass die betriebliche Funktionsfähigkeit gewährleistet ist.
Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer
Arbeitnehmer profitieren bei der Gleitzeit von einer erhöhten Flexibilität, die sie aber von einer Eigenverantwortung nicht entbindet:
- Autonome Planung der Arbeitszeit: Innerhalb der vorgegebenen Gleitzeitrahmen haben die Mitarbeitenden das Recht, ihre Arbeitsstunden selbst abzustecken, solange das tägliche oder wöchentliche Pensum eingehalten wird. Eine effiziente Organisation der eigenen Zeit wird damit zur Conditio sine qua non.
- Verwirklichung der Kernarbeitszeiten: Die vertraglich vereinbarten Kernarbeitszeiten - sofern vorhanden - verstehen sich als Obligation, die Arbeitnehmende tunlichst in ihren Werktag einzubinden haben.
- Abbau von "Überstunden": Im Hinblick auf Gleitzeit ist die Begrifflichkeit der Überstunden mit Vorsicht zu genießen. Handelt es sich dabei doch um angeordnete Mehrarbeit im Kontext der geltenden Gesetze. Der positive Gleitzeitsaldo wiederum resultiert aus einer freiwilligen Mehrarbeit, die dann durch entsprechenden Freizeitausgleich (Gleittage) kompensiert wird.
Die Kombination mit Kernarbeitszeit
Obwohl das Konzept asynchroner Arbeit es infrage stellt, gruselt es großen Teilen der Unternehmerschaft vor zeitlich komplett zerstreuten Arbeitserbringungen. An diesem Punkt greift die Kernarbeitszeit, welche die Koordination von Meetings in Person oder virtuell, die schnelle Abstimmung im Team zwischendurch und damit die kontinuierliche Bearbeitung betrieblicher Prozesse zum Ziel hat. Als Anwesenheitspflicht am Arbeitsplatz betrifft sie durchwegs alle Arbeitnehmenden, denen abseits der Kernarbeitszeiten die eigenständige Realisierung des Arbeitssolls überlassen wird.
- Beispiel: Ein Marketing-Team arbeitet auf Basis von Kernarbeitszeiten von 10:00 bis 15:00 Uhr zusammen. In der Regel vollziehen sich in diesem Zeitraum projektbezogene Absprachen sowie Teammeetings. Wann sie ihre restliche Arbeitszeit außerhalb der Kernarbeitszeit leisten, obliegt den Mitgliedern individuell, solange die Gesamtarbeitszeit nicht unterschritten wird.
Gleitzeit: Vor- und Nachteile der Arbeitszeitmodelle
Die Gleitzeit birgt für Arbeitnehmende das Zepter der Selbstbestimmung. Eltern, die früh am Morgen noch die Kinder im Kindergarten vorbeibringen müssen oder auch schlicht Personen, deren innere Uhr zum späteren Arbeitsbeginn anregt, verleiht das eine substantielle Verbesserung der Work-Life-Balance samt gesteigerter Arbeitszufriedenheit. Der Ausfluss daraus sind sinkende Fehlzeitenquoten und insgesamt eine prominentere Mitarbeiterbindung, da Motivation wenig überraschend produktiver arbeiten lässt und seltener Erkrankungen ob Überlastung zu beklagen sind.
Auf der anderen Seite kann und wird Gleitzeit niemals für jeden unter dem Postulat der Gleichberechtigung stehen. Davon können Arbeitnehmer in der Produktion oder im Kundendienst ein Lied singen, da von Flexibilität diesen Ausmaßes nur geträumt werden kann. Zudem darf man sich nicht vormachen, dass der organisatorische Aufwand dadurch weniger wird. Bezüglich der Erfassung von Arbeitszeiten und deren Dokumentation ist vielmehr ein Mehraufwand zu verspüren. Und dann kommt letztlich noch der Faktor Mensch zum Zug: kommen die Mitarbeitenden ihrer Arbeitspflicht nicht effizient genug nach oder halten sie vorgeschriebene Gesamtarbeitszeiten nicht ein, hat dies in vielerlei Hinsicht negative Auswirkungen auf das Unternehmen.